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Die 5 Prinzipien des Circlings

Diese fünf Prinzipien sind gleichwertig in ihrer Relevanz und ergänzen sich gegenseitig. Sie wurden von Sean Wilkinson und John Thompson zusammengefasst und dienen als Grundlage der Circling-Praxis, auch wenn sie von jedem etwas unterschiedlich ausgelegt werden. Wo Circling stattfindet, herrscht ein Konsens darüber, diesen Prinzipien zu folgen. Hier die Interpretation von Sam und Nora aus Bern.

1. Prinzip
Commitment to Connection – Einverständnis / Hingabe zur Verbindung

Hier geht es um ein klares ‚Ja!‘ zur Verbindung mit den anwesenden anderen Menschen. Gemeint ist die Bereitschaft sich durch andere beeinflussen zu lassen und in Verbindung zu sein mit was auch immer sich im Kontakt gerade zeigen mag. Dem Prinzip der Hingabe zur Verbindung zu folgen, bedeutet dabei nicht, auf jeden Fall (physisch und/oder emotional) in der Verbindung zu bleiben. Es bedeutet vielmehr sogar Unangenehmes wie beispielsweise den Impuls aus der Verbindung rauszugehen dem Gegenüber zuzumuten und zu kommunizieren. Daraus kann resultieren, dass ich mich tatsächlich aus der Verbindung entferne, oder aber auch, dass sich durch das Ansprechen dieses Bedürfnisses die Lage bereits ändert und nun dies neuer Bestandteil der Erforschung in der Begegnung wird.

Wer dem Prinzip der Hingabe zur Verbindung folgt, entscheidet sich also dafür, das was gerade in der Verbindung wahrnehmbar ist anderen zugänglich zu machen und zu Benennen. Reaktion wie Wut, Scham oder die Empfindung ‚nicht verbunden zu sein‘ werden durch Aussprechen Teil des Kontakts. Weil im Circling dieses Prinzip der Hingabe zur Verbindung besteht, wird es leichter auch all das auszusprechen, was wir innerlich als hinderlich für Verbindung und Beziehung anschauen und darum normalerweise weglassen und zensieren. Ungefiltert die eigene Wahrnehmung mit offener, neugieriger Haltung in die Beziehung zu bringen führt wiederum zu tieferer Verbundenheit.

Beispiel: Andere sind gerade sehr engagiert in eine Interaktion verwickelt, ich fühle mich aber distanziert und schweife ab. Im Wissen darum, dass das Prinzip der Hingabe zur Verbindung besteht, teile ich mit, dass ich frustriert bin, weil mich die Interaktion nicht interessiert und ich abschweife. Jemand reagiert darauf vielleicht genervt weil das Gespräch gebremst wird, jemand vielleicht erleichtert weil es ihm gleich geht und jemand anderes vielleicht traurig. Alle sind bereit, sich von meiner Wahrheit beeinflussen und im Gespräch bremsen zu lassen, weil die Hingabe zur Verbindung stärker ist als die Hingabe zum Inhalt des Gesprächs. Anstatt mich zu zu ignorieren oder aktiv auszuschliessen und wird meine Erfahrung Teil der erforschenden Begegnung und plötzlich bin ich wieder voll dabei.

2. Prinzip
Owning your Experience – Verantwortung für die eigene Erfahrung übernehmen

Verantwortung für die eigene Erfahrung zu übernehmen bedeutet die eigene unbestreitbare Wahrheit, die jenseits von Projektion und Schuldzuweisung liegt zu entdecken und zu benennen. Anstatt ‚Du machst mich wütend!‘ sage ich: „Ich werde wütend, wenn du das machst!‘ und übernehme damit die Verantwortung für meine Reaktion auch wenn der Auslöser im Aussen liegen mag.

Das Augenmerk dieses Prinzips liegt aber nicht bloss auf der Art der Kommunikation (Ich-Botschaften), sondern geht darüber hinaus. Es geht darum, auf der emotionalen und energetischen Ebene meine eigene Wahrheit zu ‚besitzen‘ indem ich lerne, diese ohne Schuldzuweisung gegenüber anderen Menschen wahrzunehmen und anzusprechen. Dadurch wird es möglich, abgespaltene Schattenanteile in Projektionen auf andere Menschen zu erkennen, anzunehmen und zu integrieren. Das erschafft die Möglichkeit die Macht über das eigene Leben zurück zu gewinnen und uns von unbewusst in anderen Menschen ausgelöste Reaktionen zu befreien.

Beispiel: Ich habe Hunger und weiss nicht, wann die Mittagspause ist und beginne innerlich die Leitung zu beschuldigen, schlecht für mich zu sorgen. Dem Prinzip der Verantwortung für meine Erfahrung folgend merke ich, dass ich selbst Herrin bin über mein Erleben und es also selbst beeinflussen kann. Alleine durch das Aussprechen meiner Empfindungen und Gedanken verändere ich die Situation und übernehme automatisch Verantwortung, unabhängig davon, ob es dadurch eine Mittagspause gibt oder nicht.

3. Prinzip
Staying at the Level of Sensations – Auf der Ebene der Empfindungen bleiben

Dieses Prinzip weist auf den meditativen Charakter des Circling hin und lädt ein, bei den aktuellen Empfindungen und Körperwahrnehmungen zu bleiben, anstatt in eine Geschichte und ins ‚darüber nachdenken‘ zu wechseln. Körperliche Empfindungen und Reaktion sind in den meisten Fällen direkt mit dem verknüpft, was gerade passiert und können uns einen völlig neuen Zugang zum Verständnis der Situation geben. Zudem enthaltet die direkte Verkörperung Wahrheiten ausserhalb des rational versteh- und analysierbaren und sind darum näher an der wirklichen Erfahrung dran. Die subtilen und lebendigen Empfindungen in unserem Körper zu benennen führt immer wieder zu tieferen Ebenen der Wahrheit und verhindert es, sich in der Abstraktion zu verlieren. Körperempfindungen sind die Leitplanken im Labyrinth der Begegnung.

Beispiel: Wenn ich im Circling nicht mehr weiss, wo ich stehe, gehe ich zurück zu meinen Körperempfindungen und nehme diese bewusst wahr. Alleine dadurch verbinde ich mich wieder mehr mit mir und dadurch mit den anderen.

4. Prinzip
Trust Your Experience – Der eigenen Erfahrung vertrauen

Aufbauend auf dem Prinzip der ‚Hingabe zur Verbindung‘, ist dieses Prinzip die Einladung, unseren eigenen Empfindungen und Impulsen in der Verbindung zu vertrauen. Das bedeutet der eigenen Wahrheit in jedem einzelnen Moment mit Ehrerbietung gegenüberzutreten und eigene Gedanken, Gefühle und Empfindungen als wert- und sinnvoll zu erachten. Das führt nicht selten in unbekannte Gebiete des Verhaltens und Seins. Es schliesst ein, dass wir uns auf rational nicht erklärbare und auch konter-intuitive Handlungen und Gefühlsregungen einlassen und diese in die Verbindung bringen. Wer dem Prinzip des Vertrauens in die eigene Erfahrung folgt, glaubt daran, dass ausnahmslos jede Reaktion und Regung für die Verbindung wertvoll ist. Selbst dann, wenn Selbsturteile vorhanden sind, kann diesem Prinzip Folge geleistet werden. Nehme ich zum Beispiel das Selbsturteil ‚Ich bin nicht gut genug‘ wahr, kann ich dem Drang widerstehen, besser sein zu wollen und gegen das Urteil anzukämpfen. Stattdessen kann ich das Urteil selbst als wertvollen Teil meiner jetzigen Wahrheit anschauen und auf dessen Wert vertrauen. Wenn ich dieses Urteil mit einer Haltung des Vertrauens in die Verbindung bringe, erschaffe ich dadurch mehr Liebe und Akzeptanz sowohl für mich als auch für meine Mitmenschen.

Beispiel: Es ist gerade sehr still im Raum und ich habe plötzlich den unlogischen Impuls aufzustehen und sogar Lust zu rennen. Anstatt mich zusammen zu reissen benenne ich diesen Impuls. Dadurch verstärkt er sich sogar und anstatt den Impuls durch reden oder ablenken zu beruhigen vertraue ich ihm und stehe auf und renne durch den Raum. Unerklärlicherweise scheinen dadurch bei anderen vorher unbewusste Regungen plötzlich Ausdruck zu finden und plötzlich entsteht in der Gruppe eine neue Tiefe der Begegnung.

5. Prinzip
Being with the Other in their World – in die Erfahrungswelt des Gegenübers eintauchen

Diesem Prinzip zu folgen, bedeutet eine unvoreingenommene, offene und neugierige Haltung den Mitmenschen und deren Erfahrung gegenüber einzunehmen. Anstatt auf Grund eigener Erfahrung und eigener Wertesysteme Schlüsse über die Realität der uns umgebenden Menschen zu ziehen lädt dieses Prinzip ein, eigene Annahmen über andere zu hinterfragen und mit dem tatsächlichen Erleben der anderen abzugleichen. Das Prinzip vermittelt zudem eine Haltung des ,Nicht-Wissens’. Das Eintauchen in die Welt des Anderen passiert nicht auf der Basis von gewohnheitsmässigen Annahmen sondern auf der Basis der eigenen Neugierde. In der direkten Begegnung mit der anderen Person wird erforscht, was es gerade bedeutet, diese Person zu sein. Zu erleben, dass sich andere Menschen authentisch für die eigene wahre Erfahrung interessieren, ohne etwas verändern zu wollen wirkt bestärkend und führt zu einem tieferen Verständnis für die Welt des anderen. Dies führt meist zu einer Erfahrung des ‚Gesehen-Werdens‘ für die eine Person und kann für die andere zu einem aufdecken von vorher unbewussten Haltungen bestimmten Gefühlen oder Zuständen gegenüber führen. So entstehen auf beiden Seiten neue Einsichten und ein erweitertes Bewusstsein.

Beispiel: Wenn mein Gegenüber mir sagt er/sie sei gerade traurig, werden meine eigenen Erfahrung mit Trauer und meine Haltung gegenüber Trauer aktiviert. Anstatt aufgrund dessen auf die Realität meines Partners zu schliessen, lasse ich mich auf dessen Welt mit einer Haltung des ‚Nicht-Wissens‘ und der Neugier ein: Wie fühlt sich diese Trauer für dich gerade an? Erstaunlicherweise ist die Trauer für mein Gegenüber gerade angenehm und ich entdecke in mir ein bisher unbewusste Angst, dass Trauer mich von anderen trennen könnte.